Die aus der Lehre Martin Luthers entstandene Reformationsbewegung, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts zur Gründung der Evangelischen Kirche führte, hatte eine Reihe von gravierenden Veränderungen zur Folge. Ursprünglich hatte Luther nur an notwendige Veränderungen in der katholischen Kirche gedacht, letztlich führten seine Lehren und die Kompromisslosigkeit der katholischen Kirche jedoch zur Spaltung. Nach und nach wurden in der neuen Kirche Fastentage, die Beichte und der Zölibat aufgehoben. Evangelische Geistliche durften nun heiraten und Familien gründen.

Mit der Entstehung protestantischer Pfarrhäuser stellte sich für die Kirchengemeinden bald darauf die Frage der Fürsorgepflicht für die Pfarrwitwen und ihre Kinder. War ein verheirateter Pfarrer nur kurze Zeit im  Amt gewesen oder es hatten andere Gründe dazu geführt, dass seine Familie keine finanziellen Rücklagen schaffen konnte, dann gerieten im Todesfall die Hinterbliebenen in große Not. Der Wille zur Unterstützung der nun unversorgt lebenden Witwe und der Waisen durch die Kirchengemeinden war nicht sehr groß. Man hielt sich mit Zuwendungen zurück und ließ es auch auf Rechtsstreitigkeiten ankommen, um nicht in die Pflicht genommen zu werden und zahlen zu müssen. Allerdings waren viele Pfarreien selbst arm dran und konnten zur Linderung der Not tatsächlich nicht ganz viel beitragen.

Dr. Hanna Würth, die sich in ihrer Doktorarbeit „Pfarrwitwentum im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin von der Reformation bis zum 20. Jahrhundert“ ausführlich mit diesem Themenkomplex beschäftigte, stellte ihrer Arbeit den folgenden Satz voran:

Sie „…hat nichts, lebet einzig und allein der puren Gnade Gottes und von den Almosen der bey und umbherwohnenden Leute“.

Das war das Los der ersten Witwen in der jungen evangelischen Kirche. Sie waren mit ihren Kindern auf die BarmherzigkeitvonNachbarn und Mitbürgern angewiesen. Das Pfarrhaus mussten sie für den neuen Pfarrer und seine Familie freimachen und nun ein kärgliches, elendiges Leben in Not fristen. Einigermaßen erträglich war es für sie, wenn sie an ihrem Lebensabend Zuflucht bei verheirateten Töchtern oder Söhnen finden konnten. 

In der Chronik der Gemeinde Handorf, die am Rande des Urstromtals der Elbe liegt, ist zu lesen, dass nach der Einführung der Reformation in dem Ort im Jahre 1529 immerhin 44 Jahre später ein Pfarrwitwenhaus gebaut und damit für Unterkunft gesorgt wurde. In anderen Kirchengemeinden, wie auch in Brome, dauerte das oft viele Jahrzehnte länger.

Im Laufe der Zeit behalf man sich damit, dass der neue Pfarrer die Witwe oder die Tochter des Verstorbenen heiratete. Daraus entwickelte sich eine Rechtsgewohnheit, die den Pfarrer, der eine Pfarrstelle anstrebte, dazu verpflichtete, eine der Hinterbliebenen zu heiraten, um die Pfarrstelle zu bekommen.

Das trug zwar erheblich zur Versorgung der sonst Notleidenden bei, mag aber für den jeweiligen Pfarrer ein sehr hoher Preis für die Einsetzung in das Amt gewesen sein. Da zu der damaligen Zeit Liebesheiraten aber eher die Ausnahme waren, war eine solche Versorgungsehe nicht unüblich und kam durchaus auch bei anderen Personenkreisen vor.. Diese Form der Versorgung von Pfarrwitwen wurde Konservierung genannt und hielt sich bis in das 19. Jahrhundert.

So erging es auch Pfarrwitwen und ihren minderjährigen Kindern in unserer Heimat, wie der bekannte Heimatforscher Karl Schmalz in seinem Aufsatz „Das Bromer Pfarrwitwentum“ ausführlich beschrieb. 

Zwar war auch hier der Ruf nach der Notwendigkeit von Pfarrwitwenhäusern immer lauter geworden, aber die bauliche Umsetzung wurde möglichst lange hinausgezögert. Man wollte den Bau eines solchen Hauses am besten ganz umgehen und hat das mit Finten, gegenseitigen Schuldzuweisungen und nicht eingelösten Versprechungen lange erfolgreich geschafft.

In der Bromer Schulchronik Band I ist zur Reformation im Ort lediglich zu lesen „Über die Einführung der Reformation fehlen sichere Angaben. Die Kirche zu Altendorf war früher noch eine katholische.“

Glücklicherweise hat Karl Schmalz zur Reformation und zum Pfarrwitwentum noch mehr herausgefunden, als diese magere Auskunft in der Schulchronik hergibt.

Ende des 16. Jahrhunderts gab es auch in Brome ein evangelisches Pfarrhaus. Mit seiner Familie hat dort Peter Oldeland d. J. gewohnt. Sein Vater, der ebenfalls den Vornamen Peter trug, war noch katholischer Geistlicher gewesen, was ihn nicht daran hinderte, einen Sohn zu zeugen.

Die Oldelands müssen nicht unvermögend gewesen sein, denn der jüngere Peter hatte den Sökeschuldtschen Freihof in Brome kaufen können und bewohnte mit seiner Familie nun sein eigenes Haus. Als sein Sohn Joachim den Hof übernahm, konnte Peters Witwe dort „sowohl Wohnung und auch Nahrung“ bekommen. Die Einrichtung eines Pfarrwitwentums war deshalb zur Freude der Bromer Kirchengemeinde zu dieser Zeit in Brome nicht notwendig.

Auch Pfarrer Marschall, der 1627 starb, sah sich gezwungen, ein eigenes Haus zu kaufen. Er hatte, wie das Knesebecker Hausbuch von 1670 später dokumentierte, „in mangell eines Wittiben Hauses“ das Lehngut von Joachim Oldeland erworben. Nach 1627 verhinderte wiederum der schreckliche Krieg, der später der 30jährige genannt wurde, den Bau eines Pfarrwitwenhauses.

Für den Schwiegersohn von Pfarrer Marschall, Pfarrer Boelsche, war schließlich ein Pfarrhaus in Brome gebaut worden, in das nun die Witwe Marschall mit einziehen konnte.

Auch in diesem Falle bewährte sich die inzwischen vielfach praktizierte Verfahrensweise: Der neue Pfarrer war Schwiegersohn des Verstorbenen, übernahm damit die Versorgung der Witwe und ersparte so der Kirchengemeinde die Ausgaben für ein Pfarrwitwentum.

Einen langen, nervenaufreibenden Kampf darum hatte Anna, geb. Boelsche, die Witwe von Pfarrer Ebeling ausgefochten. Ihr Gesuch um „Wohnung und Verpflegung“ wurde tatsächlich von allen Seiten als rechtmäßig anerkannt. Die Anerkennung ihres Antrages führte im Ergebnis aber leider nicht mal dazu, dass sie wenigstens Witwengeld bekam. Auch nach zwei Jahren hatte sie das ihr zustehende Geld noch von niemandem aus den Dörfern des Kirchspiels, also weder aus Brome, Altendorf oder Steimke, bekommen. Selbst eine Zahlungsaufforderung derer von Bartensleben änderte nichts an der Weigerung, diesem unhaltbaren Zustand ein Ende zu setzen. Deshalb kam es auch in diesem Fall wieder nicht zum Bau eines notwendigen Witwenhauses. Die Witwe verzichtete schließlich entnervt und frustriert von dem schier aussichtslosen Kampf darauf, ihr Recht weiter einzufordern und zog in das väterliche Haus ein.

Karl Schmalz berichtete in einem Aufsatz über Pfarrer Boelsche von Armenlisten aus Fallersleben, in denen zwischen 1648 bis 1655 nicht nur ein Pfarrer aus dem „Stedtlein Blumenaw“ aufgeführt ist, sondern auch eine Pfarrerswitwe aus Rothenburg mit vier Kindern. Schmalz schrieb weiter, dass sich in zwei Jahren unter denen, die den Armenkasten in Anspruch nahmen, fünf Pastoren und sieben Pastorenwitwen befanden. So ähnlich ging es auch in den folgenden Jahren weiter. In den nächsten beiden Jahrzehnten waren die Landstraßen immer noch von „anlaufenden Armen“ bevölkert.

Besonders groß war die Not der Hinterbliebenen wieder, als der Bromer Pfarrer Praetorius 1706 starb. Seine Witwe Maria bat um Hilfe für ihre Tochter und sich. Auch drei Jahre nach dem Tod ihres Mannes hatte sie „die zugesagte Notdurft“ noch nicht bekommen. Nach sechs Jahren war auch sie verzagt von der Erfolglosigkeit ihrer Gesuche und Bitten und gab auf, ohne ihr Ziel erreicht zu haben.

In der Pfarrstelle folgten bis zum Amtsantritt von Christoph Samuel Schroeter 1723 einige Pastoren mit kürzeren Amtszeiten. Pastor Schroeter starb 1733 und seine Witwe Sophia Dorothea nahm den Kampf um die Versorgung für sich und ihre Kinder wieder auf. Sie wollte nicht hinnehmen, dass sie und ihre fünf Kinder unversorgt bleiben sollten. Ausweichende und hinhaltende Antworten verschleppten ihr Anliegen immer wieder. Schließlich entstand ein haarsträubender Streit um das Abfahren des bereits für den Bau eines Witwenhauses geschlagenen Holzes. Erst als das Holz ein Jahr später „schon ziemlich verdorben“ war, erging am im August 1736 endlich der Befehl von höherer Stelle, das Holz abzuholen und die für den Bau des Hauses nötigen Materialien anzufahren.

Sie konnte endlich durchsetzen, was ihren Leidensgenossinnen verwehrt wurde: ein Pfarrwitwentum in Brome. Dazu gehörten das Witwenhaus, die zugeteilten Äcker, die Versorgung mit Feuerholz, das Witwengeld und ein befristetes Gnadengehalt. Um die Kirchenmitglieder nicht zu sehr zu belasten, verzichtete die Witwe Schroeter für die nächsten drei Jahre auf diese Zuwendungen. Weil die Kirchen seit 1919 das Recht haben, ihre Geistlichen zu verbeamten, waren damit auch im Todesfalle eines Pastors seine Hinterbliebenen abgesichert. Damit konnte das unrühmliche Kapitel Pfarrwitwentum endgültig abgeschlossen werden. Ein anderer alter Hut der evangelischen Kirche, die Praxis ausschließlich Männer zu ordinieren, wurde im 20. Jahrhundert auch endlich abgeschafft.