Ein Blog des Museums- und Heimatvereins Brome e.V.

Autor: Hannelore Blanke (Seite 1 von 2)

„Wölfe – auch schon damals“

Der letzte Wolf im Landkreis Gifhorn wurde im Jahre 1956 bei Boitzenhagen erlegt. Danach gab es Jahrzehnte lang in den heimischen Wäldern und Fluren keine Wölfe mehr, erst seit 2017 gilt ihre Rückkehr im hiesigen Raum als gesichert.

Die kontroverse Debatte darüber konnte man in verschiedenen Medien verfolgen, angefeuert von den jeweils unterschiedlichen Interessenlagen und Standpunkten.

Mich interessierte, welche Erfahrungen die Menschen unserer Region in früheren Zeiten mit dem Wolf gemacht hatten. Dazu bin ich bei dem Bromer Heimatforscher Karl Schmalz, der sich mit vielen Aufsätzen zur Heimatgeschichte verdient gemacht hat, fündig geworden.

In der Zusammenfassung seiner Aufsätze befinden sich die Berichte „Eine Wolfsjagd im Ehraer Holz“, „Wolfsplage vor 300 Jahren“, „Wolfsjagd zwischen Radenbeck und „Tesekendorf“ und „Wölfe – auch schon damals“.

Der Wolf hatte besonders damals, aber auch heute noch, für viele Menschen das Image des gefährlichen und blutrünstigen Raubtieres. Als Nahrungskonkurrent, der das kostbare Vieh der Bauern und der kleinen Leute riss, wurde er verfolgt und wenn möglich, zur Strecke gebracht. 

Auch wenn es in der Beschreibung über die Wolfsjagd in Ehra vor allem darum geht, wer damals das Jagdrecht in unseren heimischen Wäldern hatte, so erfährt man in der Vernehmung von Ehraer Bürgern durch den Knesebecker Amtmann im März 1702 doch etwas über die Methode dieser Jagd.

Dazu wurden Leinen mit Lappen versehen und zwischen Bäume gespannt, um die Tiere in eine bestimmte Richtung zu lenken. Konnte ein Wolf entwischen, war er „durch die Lappen gegangen“. Zwischen den Bäumen wurden zudem Netze aufgestellt, in die die Wölfe getrieben werden sollten. Jagdhelfer stiegen auf Bäume und hielten von dort oben Wache. Wurde ein Wolf gesichtet, sollte er in den nach und nach enger gestellten Netzen gefangen und erlegt werden.

So war auch der Plan damals in Ehra. Besonders erfolgreich war das in diesem Falle nicht, denn obwohl die Jäger acht Tage lang zum Schießen ausgezogen waren, bekamen sie keinen Wolf zu Gesicht und damit auch keinen vor die Flinte.

Eine andere Jagdmethode war die Jagd mit Wolfskuhlen. Dicht an der Grenze zur Bromer Gemarkung gibt es sowohl eine „Große Wolffs Kuhl“ als auch eine „Kleine Wolffskuhl“.  Die Bezeichnungen deuten darauf hin, dass die Jagd mit Fallgruben auch hier durchgeführt wurde.

In die getarnten Gruben (Kuhlen) wurde der Wolf getrieben und konnte aus eigener Kraft nicht mehr entkommen. Das gefangene Tier konnte entweder gleich getötet oder lebend entnommen werden und einer Jagdgesellschaft zugeführt werden.

Wolfsjagden waren ein Teil des adligen Lebens und erfreuten sich in diesen Kreisen großer Beliebtheit „… Eß werden die vf künfftigen vnserm Beylager zur Lust benöthigte Wölffe in Vnsern Landen nicht mehr zu erlangen stehen“, sorgte sich Herzog Christian Ludwig in einem Schreiben vom März 1653 an seinen Oberforst- und Jägermeister Georg von Wangenheim.

Die lebend gefangenen Wölfe wurden in extra hergerichteten Gehegen für dieses besondere „Jagdvergnügen“ solange gehalten, bis wieder eine herrschaftliche Wolfsjagd anstand.

Damit wurde deutlich, dass es längst nicht nur darum ging, das Vieh zu schützen, sondern „wieder einmal in Abenteuerlust die Aufregungen einer Wolfsjagd genießen zu können“, wie Karl Schmalz bilanzierte.

Bei den abkommandierten Jagdhelfern der adligen Jagd hielt sich die Begeisterung über den Einsatz dagegen in Grenzen.

Zur Wolfsjagd wurde stets ein starkes Aufgebot an Helfern benötigt. Weil die sich nur schwerlich freiwillig bereit fanden, griff der Adel zum verpflichtenden Mittel der „Landfolge“. Dazu gab es eigens aufgestellte Listen, in denen die zur Landfolge aufgestellten Männer aufgeführt wurden. Allein das Amt Knesebeck zählte im Jahre 1663 ganze 245 Mann, die unbefristet und ohne Entlohnung aufgerufen werden konnten.

Probleme hat es für die Bauern und Tierhalter durch den Wolf immer wieder gegeben. Die im März 1647 erfolgte Meldung durch einen Thomas Daume aus dem Amt Lüne berichtete sogar von einem Angriff auf eine Frau. Der Wolf soll ihr nach dem Aufstehen nach der Kehle gefasst haben und wurde von dem herangeeilten Gesinde erstochen.

In einem anderen Fall hatte der Pfarrer von Jeggau im Jahre 1659 ins Kirchenbuch eingetragen: „Ein Wolf hat… den Schulzen Hans Mumme beim Anfahren des Holzes für den Prediger, im Dorf angegriffen, so daß er elendiglich gestorben“.

Wie es zu den Zwischenfällen gekommen war, sowie die näheren Umstände der Attacken, wurde leider nicht festgehalten.

Bei zahlreichen früheren Berichten aus Geschichte und Literatur, in denen über Wolfsattacken auf Menschen durch bis zu 20 Tiere starke Rudel geschrieben wurde, handelt es sich ganz sicher um Übertreibungen.

Wölfe leben im Familienverbund, ähnlich dem Menschen. Im Alter von 11 bis 12 Monaten verlassen die Jungtiere ihr Rudel um sich ein neues Revier und einen Partner zu suchen, mit dem sie eine eigene Familie gründen können. Bei dieser Suche legen sie lange Strecken zurück. Thomas Pusch, der Sprecher des Landesfachausschusses Wolf beim Naturschutzbund in Nordrhein-Westfalen erklärte, „Ein Wolfsrudel besteht aus acht bis 10 Tieren, die auf einem Gebiet von 250 Quadratkilometern leben. Größer wird das Rudel nicht, denn „Es gibt eine Inzuchtsperre…“

In dem Aufsatz über die „Wolfsjagd zwischen Radenbeck und „Teskendorf“ wird davon berichtet, dass bei einer offenbar ungenehmigten Wolfsjagd ein zwölfjähriger Junge versehentlich angeschossen wurde, so dass er 5 Tage später verstarb. Ansonsten wird vermerkt „nichts gesehen, nichts gefangen und nichts geschossen“.

Aus dem vierten Bericht von Karl Schmalz über „Wölfe – auch schon damals“, erfahren wir, dass es in der hiesigen Gegend bis in die neuere Zeit immer wieder Wolfsjagden gegeben hat. So wurden ein „großer Ehraer Wolf“ im Dezember 1824 und ein Schönewörder Wolf 1871 bei Erpensen erlegt.

Schmalz vermutete, die Bezeichnung Wolf könnte früher allgemein als Synonym für wilde Tiere gebraucht worden sein, so dass nicht immer ganz eindeutig war, ob es sich bei dem „Übeltäter“ tatsächlich um einen Wolf handelte.

Aus unserer Natur ist der Wolf inzwischen nicht mehr wegzudenken. Weder sollten wir ihn romantisieren, noch unbegründete Ängste schüren. Ob Karl Schmalz das wohl auch so gesehen hätte? Wohl nicht, dazu war er, der 1966 gestorben ist, wohl doch zu sehr der Denkweise seiner Zeit verpflichtet, in der „der letzte Gifhorner Wolf“ als gefährliches Raubtier erlegt wurde.

Während des 2. Weltkrieges in Altendorf

In der Kriegszeit vom 1. April 1940 bis zum 20. Dezember 1945 wurde in Altendorf keine Schulchronik geführt. Die Kinder aus Altendorf und Benitz wurden in dieser Zeit in Brome beschult, da viele Lehrer, wie auch die meisten anderen wehrfähigen Männer, zum Kriegsdienst eingezogen worden waren. Der Lehrer Hermann Büttner war nach Kriegsende als Flüchtling nach Altendorf gekommen und begann seinen Dienst an der Volksschule mit deren Wiedereröffnung am 20. Dezember 1945.

Büttner bedauerte sehr, dass in der Chronik „… für die Gemeinde Altendorf so viele gewaltige und dabei so folgenschwere Ereignisse… nicht festgehalten waren“. So machte er sich daran, seine neuen Mitbürger in Altendorf über diese Zeit zu befragen und die Ergebnisse dieser Befragungen in die Schulchronik aufzunehmen. Aus diesen Berichten notierte Büttner, was sich in der Gemeinde Altendorf getan hatte.

Wie in anderen Gemeinden und Städten in Deutschland wurden Kriegsgefangene aus den ersten siegreichen Kriegsjahren als Arbeitskräfte eingesetzt. In Altendorf arbeiteten sie in der Landwirtschaft und hatten es damit meistens besser getroffen als ihre Leidensgenossen, die in anderen Bereichen Zwangsarbeit leisten mussten. Junge Bauern und Landarbeiter waren im Kriegsdienst, viele inzwischen bereits verwundet oder sogar gefallen. Mit der Arbeit der Gefangenen sollte ein Ausgleich geschaffen und die Produktion in der Landwirtschaft aufrechterhalten werden.

Wegen der allgemeinen Verknappung der Lebensmittel wurden Lebensmittelkarten eingeführt, durch die eine gleichmäßige Verteilung der Grundnahrungsmittel erreicht werden sollte. Da die Versorgung auf dem Land naturgemäß besser war als in den Städten, machten sich viele Stadtbewohner mit sog. Hamsterfahrten auf den Weg in die Dörfer. Um ein paar zusätzliche Lebensmittel zu erhalten, kamen auch etliche Leute nach Altendorf. Ansonsten ging das Leben hier seinen gleichmäßigen und ruhigen Gang. „Von den Schrecken des fortschreitenden Krieges bekam das Dorf in den ersten Kriegsjahren nichts zu spüren“.

Schließlich versuchten immer mehr Menschen aus den Städten, auf dem Lande Zuflucht zu nehmen. Auch ganze Schulklassen mit den sie begleitenden Lehrkräften wurden im Rahmen der Kinderlandverschickung dorthin geschafft. Von der Wolfsburger Mittelschule wurden drei Klassen ausquartiert. „2 Klassen wurden in Brome untergebracht und eine in Altendorf“.

„Einen kleinen Begriff von den Schrecken, die die Stadtbewohner bei dem zunehmenden Luftterror durchzumachen hatten, bekam auch unser Dorf gegen Ende des Krieges zu spüren. An einem Novemberabend im Jahre 1943 … ließ ein feindliches Flugzeug auf die Benitzer Feldmark… eine Luftmine, zwölf Phosphorbomben und ungefähr 100 Brandbomben fallen“.

„Im Januar 1945 … warf ein feindliches Flugzeug im Notwurf 10 Bomben beiderseits der Altendorf-Benitzer Chaussee“. „Ende März 1945 … fielen 2 Bomben auf den Acker des Bauern Rehfeldt in Benitz“, verursachten zum Glück aber nur Flurschaden.

„Am 22.2.1945 … stürzte ein amerikanischer viermotoriger Bomber, der in Luftkämpfen abgeschossen worden war, in der Nähe der Altendorfer – Wiswedeler Straße … ab“. Die Flugzeugteile lagen weit verstreut. „Von den 9 Insassen des Flugzeuges retteten sich 6 durch Fallschirmabsprung. 2 Mann lagen tot unter der Maschine, ein dritter 20 m entfernt, ebenfalls tot. Der eine Abspringer landete auf Dieckmanns Scheunendach, riß dabei ein Loch ins Dach…“ Der Verwundete wurde verbunden und der Polizei übergeben.

Seit dem Frühjahr 1944 häuften sich die Angriffe feindlicher Tiefflieger auf die Kleinbahnstrecke der OHE. Bei diesen Vorfällen waren Verwundete und Tote zu beklagen, Altendorfer Bürger gehörten nicht zu den Opfern.

Was sich dann im Frühjahr 1945 in seiner neuen Heimat ereignete, hielt Hermann Büttner ebenfalls fest: „Daß der Krieg seinem schrecklichen Ende entgegenging, zeigte der erste Flüchtlingstransport, der hier Anfang Februar ankam. Er war aus Berlin gekommen. Frauen und Kinder wollte man dort fortbringen. Ein langer Zug rollte in den Kreis Gifhorn und wurde auf allen Bahnhöfen entlang der Strecke Oebisfelde – Wittingen entladen“. Auch die Frau des Lehrers Büttner kam mit ihren drei Kindern auf diese Weise hier an.

Von den Altendorfern wurden die ersten Flüchtlinge herzlich und liebevoll aufgenommen, allerdings blieben das nicht die einzigen Flüchtlinge. Nach zwei Wochen setzte der Flüchtlingsstrom aus dem Osten ein und damit kamen auch immer mehr Menschen nach Altendorf. Viele dieser Menschen waren lange Strecken zu Fuß gegangen oder mit Wagen quer durch Deutschland gefahren und suchten nun irgendwo eine Bleibe. „Wochenlang, seit Mitte Januar, waren sie bei Wind und Wetter, Frost und Schneesturm unterwegs gewesen, hatten kein anderes Dach über dem Kopf gehabt, als den Wagenplan, waren erschöpft, krank, die Pferde abgetrieben, klopften nun an die Tore der hiesigen Bauernhöfe, baten um Aufnahme und wurden aufgenommen. Bald war jeder Hof, auch der kleine, mit Flüchtlingen voll belegt.“ „Viele Wochen dauerte dieser Flüchtlingsstrom an“.

Im April 1945 waren die vorrückenden Amerikaner in den Kreis Gifhorn gelangt und am 11. April fuhren erste amerikanische Panzer durch Altendorf. In den Tagen danach war „die Kampflage vollständig undurchsichtig“ notierte Hermann Büttner.

„So durchfuhr am 16.4. eine deutsche Abteilung, bestehend aus 5 Panzern und ungefähr 25 Lastwagen, Altendorf und nahm für kurze Zeit in der näheren Umgebung Aufstellung.“ Glücklicherweise kam es zu keinen Kampfhandlungen, so dass „…keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben“ bestand.

Ein Teil eines größeren Gefangenentransports von mehreren tausend Russen und Franzosen, die von Westen kommend, in die Altmark gebracht werden sollten, machte in Altendorf Station. „Während der Nacht wurden sie in den Scheunen der Bauern einquartiert. So waren auf Bromanns Hof 180 Franzosen, auf Fritz Knokes Hof 200 gefangene Russen untergebracht“. Beim Weiterzug gerieten die Gefangenen und ihre deutschen Bewacher bei Wendischbrome und Radenbeck in das Feuer feindlicher Panzer. „Bei dem nun entstehenden Wirrwarr und dem allgemeinen Durcheinander sprengten sowohl Wachmannschaften, als auch Gefangene, nach allen Seiten auseinander“. Die ehemals Gefangenen verstreuten sich in der Gegend und verlangten von den Dorfbewohnern Unterkunft und Verpflegung. In der aufgeladenen und spannungsreichen Atmosphäre gab es viele gefährlichen Situationen, auch Plünderungen und Messerstechereien kamen vor. Die Russen hielten sich mehrere Tage hier auf, bis sie weiterzogen. Als sich schließlich stärkere amerikanische Kräfte näherten, wurden von ihnen Ruhe und Ordnung wiederhergestellt.

Historisch gesichert ist, dass die russischen Kriegsgefangenen doppelt unter die Räder des Kriegsgeschehens gerieten. Ihre Gefangennahme wurde von dem stalinistischen System als „Vaterlandsverrat“ eingestuft und wie ein mit Absicht begangenes Verbrechen behandelt. So führte ihr Weg in der Heimat meistens gleich in sibirische Straflager.

Hermann Büttner hielt auch fest, dass sich Polen, die bei den hiesigen Bauern zwangsbeschäftigt waren, an Plünderungen beteiligten. Einzelne Polen und eine Baltin konnten aber auch im Konflikt mit Russen vermittelnd und beschützend eingreifen. Über den Verbleib der Franzosen ist in der Chronik nichts zu lesen, womöglich waren sie unauffälliger und sind so schnell wie möglich auf irgendwelchen Wegen in ihre Heimat zurückgekehrt.

„Am 24.4.45 wurde Altendorf dauernd besetzt, zunächst von den Amerikanern, später von den Engländern“. Drei Bauernhöfe wurden mit Truppen belegt. „Auf Bromanns Hof waren 15 Panzer aufgestellt“. Die Bauernfamilien mussten die Höfe verlassen, durften nichts mitnehmen und die Ställe nur zum Füttern des Viehs betreten.

Die Besetzung Altendorfs dauerte vier Wochen. Auf der Straße zwischen Brome und Radenbeck fuhren Panzer mehrere Male am Tag Patrouille und von 22 Uhr bis 5 Uhr herrschte Sperrzeit, in der sich kein Zivilist auf der Straße aufhalten durfte.

Monatelang gab es keine Möglichkeit, Nachrichten zu übermitteln, da der Post- und Bahnverkehr ruhte. Wollte man in einen anderen Ort, konnte man den nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen.

„Hunderttausende, vielleicht Millionen von Menschen, waren in diesen Monaten unterwegs“. Entlassene Soldaten oder solche, die sich heimlich entfernt hatten, schlugen sich durch, evakuierte Städter wollten endlich zurück in die Heimatstädte. Flüchtlinge wollten zu ihren Verwandten, die es anderswohin verschlagen hatte. „Alles wanderte schwer bepackt, tagelang, wochenlang. Einzeln, in kleineren u. größeren Gruppen durchzogen sie unser Dorf“.

So war die kleine beschauliche Gemeinden Altendorf, deren Bewohner sich so weit entfernt von den Wirren des Krieges glaubten, doch noch Schauplatz kriegerischer Ereignisse und seiner Nachwirkungen geworden. Der Krieg, der von Deutschland aus in die Welt gegangen war, hatte auch hier seine Spuren hinterlassen, wenn auch in weitaus geringerem Maße, als in den Städten und den Gebieten, über die der Krieg grausam hinweggefegt war. Zeitzeugen, die sich zu den damaligen Geschehnissen äußern könnten, sind entweder verstorben oder hoch betagt, so dass sich ihre Erinnerungen verwischt haben. Dem Lehrer Hermann Büttner gebührt für diese Aufzeichnungen in der Altendorfer Schulchronik, Band II, großer Dank, denn ohne sie wäre das Wissen um die Geschehnisse dieser Zeit in Altendorf und Umgebung verloren gegangen.

Der Letzte macht die Thüre zu – Hofübergabe – und Ehecontract von 1826

Seite aus dem Hofübergabe- und Ehecontract aus dem Jahr 1826

Auf den ersten Blick erschien die Lektüre des Hofübergabe- und Ehekontraktes, den ich aus der Deutschen Schrift in Druckschrift übertragen sollte, nicht besonders spannend. Dieser Eindruck änderte sich schnell, je mehr ich über die damalige Zeit recherchierte.

Der Vertrag wurde von der Familie Seelecke aus Tiddische in dem ca. 13 km entfernten Vorsfelde unterzeichnet, das damals zum Herzogtum Braunschweig gehörte.

Eisenbahnen, Automobile und selbst Fahrräder gab es damals noch nicht, also musste man den Weg entweder zu Fuß antreten oder mit Pferd und Wagen fahren. Die Eheleute Seelecke wollten ihren Hof „Samt allem Zubehör und Gerechtsamen, Vieh, Hof- und Feldinventar ihrem mitgegenwärtigen Sohn“ übergeben. Gleichzeitig sollte ein Ehekontrakt zwischen dem Sohn und der Braut abgeschlossen werden.

Für die Hofübergabe wurden dann folgende Bestimmungen festgeschrieben: „Sie (die Eheleute) referieren sich die Herrschaft noch so lange es ihnen beliebt. Während dieser Zeit soll der Bräutigam von ihnen zu genießen haben: Freien Unterhalt im Essen und Trinken und der Bräutigam auch freie Kleidung, dann jährlich 5 Himpten Roggen, die Winter- und Sommerwolle von vier Schafen und sollen ihnen außerdem drei Himpten Hafer in die Brache und zwei Viertelfaß Lein jährlich gesät werden, sie dagegen zu einer pflichtgemäßen Tätigkeit für das Beste des Hofes verbunden sein“. Himpten wurde mal mit p, mal ohne geschrieben und ist wie das Vierfass ein Hohlmaß, 1Himpten entspricht 1842 in Braunschweig ca. 31 Litern und ein Vierfass knapp 8 Litern.

Die Eltern des Bräutigams behielten es sich damit vor, die Wirtschaft so lange zu führen, wie es ihnen beliebte. Wenn der Hof tatsächlich an die jungen Leute überging, konnten sie sich aussuchen, ob sie mit den Eltern in einem gemeinsamen Haushalt leben wollten oder nicht. Für den Fall, dass alle an einem Tische bleiben wollten, bekamen die Eltern das Gleiche, was sie dem Sohn geben würden, zusätzlich eine „eiserne Kuh“. Eisern steht hier für hart, fest und unangreifbar. Es handelte sich dabei um die zweitbeste Kuh im Stall, und sollte diese verkauft oder geschlachtet werden, so blieb das Anrecht auf die nächste zweitbeste Kuh erhalten. Für den Fall, dass die jungen Leute es vorzogen, für sich zu wirtschaften, wurde eine Auflistung für das Altenteil zusammengestellt, die ich hier in Auszügen wiedergeben möchte: „Jährlich 16 Himpten Roggen /ca. 500Liter), einen Himpten Buchweizengrütze (ca. 31 Liter), einen Himpten Salz, zwei Vierfass Saat (fast 16 Liter), ein Schwein oder dafür 3 rth. (Reichstaler), ein Fuder Heu (von einer bestimmten Wiese), ein Schock Roggenstroh (60 Stück) à 20 Pfund, zwei Vierfass Lein gesaet, drei Himpten Hafer in die Brache gesaet, die Winter-Sommerwolle von vier Schaafen, frei Feuerung zu allen ihren Bedürfnissen und an Obst eine Apfel- einen Birnen und zwei Pflaumenbäume“. Das war nicht wenig und musste von dem jungen Paar gut überlegt werden. Da die ländliche Bevölkerung überwiegend in Eigenversorgung lebte, war es notwendig, alle diese Punkte genauestens zu erfassen. Auch für den Fall, dass eines der Elternteile verstarb, wurden feste Kriterien bestimmt. Damit noch nicht genug. Der Hoferbe hatte auch noch Leistungen an die Geschwister zu erbringen: „An Abfindungen hat der Hofannehmer folgendes zu prästiren (eine Sachleistung zu erbringen): An seinen Bruder: „Dieser soll nach dem Absterben der Älteren, oder wenn diese es wollen sofort auf dem Hofe zu erbauenden Spieker beziehen, und solchen bis auf seine und seiner Ehefrau Lebzeiten benutzen können, und soll dabei das …Gartenstück …,ein Vierfass Lein gesaet, und außerdem ein Fuder Heu, … welches letztere ihm der Hofwirth frei anfahren soll. Letzterer soll ihm noch besonders, wenn der Abzufindende sich verheirathet, ihm am Tage der Hochzeit ein vollaufgemachtes Bette und dann, so wie es dessen Bedürfnis mit sich bringt, zwei Schaafe mit Lämmern mitgeben.“ Dafür musste sich der Bruder zu bestimmten Arbeiten auf dem Hof verpflichten. Fand der Bruder des Hofabnehmers sein Eheglück anderswo, so waren die Abfindungen für diesen Fall auch genauestens geregelt. Er bekam dann an Geld 100Taler Conventionsmünze. Ein Conventionstaler war 1813 in Braunschweig-Wolfenbüttel 16 Gutegroschen wert. Da das Münzwesen sehr unübersichtlich war, konnte ich über den Wert nichts herausfinden, gehe aber davon aus, dass es sich um eine erkleckliche Summe handelte. Dazu ein aufgemachtes Bett und einen vollständigen Kistenwagen, was einer umfassenden Aussteuer entsprach. Auch an die Schwester waren noch einige Abfindungen zu leisten. Im mitverhandelten Ehekontrakt erklärt der Hofannehmer seine Braut als Miteigentümerin des Hofes. Diese musste bares Geld, einen vollständigen Kistenwagen und eine genau festgelegte Anzahl an Kühen, Ochsen und Schafen mitbringen. Zum Schluss wird für den letzten Fall alles geregelt: „Auf den Fall, daß einer von den Verlobten nach vollzogener Ehe vor dem andern ohne Hinterlassung von Kindern aus dieser Ehe sterben sollte, daß dann das Sprichwort „Der Letzte macht die Thüre zu“ eintritt“. Unterschrieben wurde dieser Vertrag mit Handzeichen, also mit 3 Kreuzen für die jeweilige Person. Über diesen Vertrag ließe sich noch viel mehr ausführen, deutlich wird aber, dass sich darin ein Leben mit viel harter Arbeit und stetigem Fleiß widerspiegelt. All die Errungenschaften, die unser Leben so erleichtern, gab es damals noch nicht, die Industrialisierung war noch in weiter Ferne. Viel Glück hat die junge Familie scheinbar nicht gehabt, bereits 1852 war die junge Frau verwitwet, und auf lange Sicht ist der Hof dann auch nicht in der Familie geblieben.

Ein Denkmal für Lehrer Büttner

Als ich den 2. Teil der Altendorfer Schulchronik aus der deutschen Schrift übertragen habe,   war ich von den dort enthaltenen Niederschriften des Lehrers Hermann Büttner besonders beeindruckt. Was er über sein Arbeitsleben in Altendorf und sein persönliches Schicksal aufgezeichnet hat, hat mich sehr berührt und so entstand der Gedanke, diesem Pädagogen mit dem Aufsatz im Kreiskalender ein schriftliches Denkmal zu setzen und seine Arbeit und seine Person zu würdigen.

Hermann Büttner hat von Dezember 1945 bis Ende Mai 1950 Jahre als Lehrer in der einklassigen Volksschule in Altendorf gewirkt. Dankenswerterweise hat er nicht nur das Führen der Schulchronik wieder aufgenommen, sondern daneben auch die Aufzeichnung des Gemeindelebens aus der Zeit nachgeholt, als die Schule während des Krieges geschlossen war. Da ihm das aus eigener Anschauung nicht möglich war, hat er die Geschehnisse durch Befragungen der Dorfbewohner nachgezeichnet. Dieser Text ist meines Wissens nach die einzige Quelle, aus der man über diese Zeit in Altendorf Genaueres erfahren kann. Damit allein hat er sich sehr verdient gemacht. 

„Ich war ohne jede Zivilkleidung hier angekommen, hatte aber von dem Bauern Rehfeldt in Benitz 1945 einen Anzug geschenkt erhalten. Diesen trug ich sonn- und werktags. Da er Kriegsware war, zerfiel er bald in Fetzen. Alle meine Bemühungen, einen neuen Anzug zu erhalten, waren vergebens. Erst nach der Währungsreform 1948 konnte ich mich neu einkleiden.“

Diese wenigen Sätze beschreiben gut, in welch schwieriger Situation sich Büttner und mit ihm seine ganze Familie befand.

Schule Altendorf mit Lehrer Büttner (um 1947)

Der Altendorfer Schulchronik, Band II, ist zu entnehmen, dass die örtliche einklassige  Schule mit 44 Schülern am 28.03.1940 wegen Lehrermangels geschlossen und die Kinder vom 1. April an in Brome unterrichtet wurden. Diese Schließung dauerte die Kriegszeit über an und wurde am 20.12.1945 beendet. 55 Kinder aus Altendorf und Benitz wurden von da an wieder in Altendorf beschult. Einziger Lehrer für alle Kinder war Hermann Büttner.

1946 betrug die Schülerzahl durch den Zuzug von Flüchtlingen 73 Kinder, die nun auch alle von Lehrer Büttner unterrichtet werden mussten. Da diese große Anzahl von Kindern nicht in dem einzigen vorhandenen Klassenraum unterzubringen war, teilte er sie auf und unterrichtete vormittags die Ober- und Mittelstufe und nachmittags die Unterstufe. „Dieser Betrieb hat den Lehrer stark belastet“, vermerkte er darüber.

Für den Klassenraum stand in dem strengen Winter 1946/47 nicht ausreichend Brennmaterial zur Verfügung, um den Kachelofen zu heizen. So wurde die Regelung getroffen, dass in den Monaten Januar und Februar nur an drei aufeinanderfolgenden Tagen unterrichtet werden sollte und die nächsten 3 Tage unterrichtsfrei waren. Die Nachbarschulen wurden in diesen Monaten wegen des gleichen Problems sogar ganz geschlossen.

Die 73 Kinder waren eine zu riesige Belastung für einen Lehrer. Als sich herausstellte, dass die Schülerzahl durch weiteren Flüchtlingszuzug noch mehr anwachsen würde, fasste die Gemeinde Altendorf endlich den Beschluss, eine zusätzliche Lehrerstelle zu beantragen.

Ab Ostern 1947 waren es inzwischen 98 Kinder, die in zwei Abteilungen zusammengefasst wurden. Endlich, am 16. Juni, konnte Lehrer Richard Kollna seinen Dienst antreten, so dass jetzt 2 Lehrer in nur einem Klassenraum im Schichtbetrieb unterrichteten. Zu Beginn des neuen Schuljahres, Ostern 1948, hatte die Schule 101 Schüler, davon 45 Kinder aus Altendorf und Benitz und 56 Flüchtlinge. Die meisten kamen aus dem Warthegau, einige aus Ost- oder Westpreußen, andere aus Bessarabien.

Wegen der katastrophalen Ernährungslage in Deutschland hatte sich der ehemalige US-Präsident Herbert C. Hoover dafür eingesetzt, dass Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren täglich mit einer Mahlzeit versorgt werden sollten. Um die Unterernährung zu mindern, wurden von den Amerikanern Lebensmittel bereitgestellt, die auch den Kindern in Altendorf hätten zugute kommen können. Leider scheiterte das zunächst, weil die Gemeinde wegen der allgemeinen Warenknappheit keinen Kochkessel beschaffen konnte. „So mußte diese segensreiche Einrichtung hier unterbleiben“, bedauerte Lehrer Büttner.

Das Schulgebäude war lange Jahre nicht renoviert worden und so war es nicht verwunderlich, dass sich allerlei Mängel und Schäden einstellten. Handwerker lehnten Aufträge dafür ab, da sie kein Material hätten und „unmöglich welches beschaffen könnten“. Allerdings vermerkte Lehrer Büttner, dass bei den Bauern durchaus neue Fenster und Türen eingesetzt wurden. Im Tausch für begehrte Lebensmittel ließ sich manches bewerkstelligen.

Nicht nur die hohe Kinderzahl und der schlechte bauliche Zustand der Schule bereiteten den beiden Lehrern Probleme. Dazu kam noch, dass vor der Währungsreform kein Lehr- und Lernmaterial zu bekommen war. Es fehlte alles, was man für den Schulbetrieb eigentlich brauchte: Bücher, Hefte, Bleistifte, Stahlfedern zum Schreiben und vieles mehr. „1946 besaßen die Kinder überhaupt keine Lernbücher, weder Lesebücher, noch Rechenbücher, noch Fibeln.“

Wie ein übles Possenspiel muten heute die „Bemühungen um die Beschaffung eines Lehrertisches“ an. „Die Altendorfer Schule ist wohl die einzige im Kreis, die solch ein Schulmöbel nicht besitzt. Der Lehrer muß sich, wenn er etwas zu schreiben hat, stets in eine der Schülerbänke setzen“. Obwohl die Notwendigkeit anerkannt wurde, dass der Lehrer einen Tisch brauchte, war er vor der Währungsreform nicht zu beschaffen. Die Tischler weigerten sich, gegen Bezahlung mit Geld zu arbeiten.

Auch das Einsammeln von Brettern bei den örtlichen Waldbesitzern führte nicht zum Erfolg, so dass die Gemeinde schließlich die Schulenburgische Forstverwaltung um die Lieferung eines Baumes bat. Der wurde auch nach 9 Monaten zum Sägewerk gebracht. Die Bretter sollten nun von einem Bromer Tischler zu einem Tisch verarbeitet werden. Daraus wurde wieder nichts, weil die Schülerzahl inzwischen angestiegen war und neue Bänke und eine Doppeltür zwischen Klassenzimmer und Lehrerwohnung vorrangig erstellt  werden mussten. „Für den Lehrertisch blieb nichts übrig“.

Kummer bereitete Hermann Büttner auch noch die Bewirtschaftung des Dienstlandes, das zu seiner Lehrerstelle gehörte und für seine und die Versorgung seiner Familie lebensnotwendig war. Davon wollten aber die langjährigen Pächter nichts wissen und nach vielerlei Ausflüchten war endlich einer der Pächter bereit, etwas Land abzutreten. Das reichte aber nicht zur Ernährung der inzwischen 6-köpfigen Familie aus, so dass Büttner Kartoffeln und Getreide dazukaufen musste. Auch das war wegen der bestehenden Zwangsbewirtschaftung und der Knappheit an Gütern aller Art schwierig.

Der Streit mit den Pächtern hielt an und erst mit der Besserung auf dem Lebensmittelmarkt und der Aufhebung der Zwangswirtschaft wurde es für den Lehrer überflüssig, weiter auf seinem Recht zu beharren. “Der Verlauf dieser Angelegenheit hat aber manche Verbitterung hinterlassen“.

Am 22. September 1948 begann auch in Altendorf endlich die Hoover-Schulspeisung, denn der notwendige Kessel konnte jetzt leicht beschafft werden. „Wir hätten uns Dutzende von Kesseln kaufen können“, notierte Büttner dazu. Die Lagerung und das Kochen der Lebensmittel übernahmen zwei Frauen aus dem Dorf. Die Gemeinde musste die Lebensmittel bezahlen und für die Kinder kostete eine Mahlzeit 0,15 DM. Um kinderreichen Familien und vor allem Flüchtlingsfamilien die Zahlung zu erleichtern, wurden auf das Betreiben der Lehrer hin Patenstellen geschaffen. So konnten 13 Kinder aus Altendorf und 12 aus Benitz kostenlos am Essen teilnehmen. Die Schulspeisung erstreckte sich über fünf Monate, von September 1948 bis Januar 1949.

In diesen Notjahren nach dem Zusammenbruch wurden die Schulkinder recht häufig dazu aufgerufen, Geldsammlungen durchzuführen, denn es fehlte an allen Ecken und Enden im Land. So sammelten sie zur „Woche der Hilfe“, für den Ausbau der Jugendherbergen, für die Blindenhilfe, die Tuberkulosebekämpfung, die Kriegsgräberfürsorge usw., bis es den Kindern und den Eltern und nicht zuletzt den Lehrern zu viel wurde und sie weitere Sammelaktionen ablehnten.

Ganz allmählich normalisierte sich der Schulbetrieb. Sportliche Jugendwettkämpfe wurden durchgeführt, und mit Beginn des Schuljahres 1949 gab es wieder Handarbeitsunterricht.  Sogar erste Schulausflüge nach Hannover und in den Harz fanden statt.

„Zum 1.5.50 bin ich auf meinen Wunsch und Antrag, der bereits länger als ein halbes Jahr zurückliegt, nach Wolfsburg versetzt worden…“ Damit endete die schwierige Amtszeit des Lehrers Büttner in diesen Not- und Elendsjahren nach dem 2. Weltkrieg, die ihm und seiner Familie in dem bäuerlichen geprägten Altendorf arg zusetzten.

Hermann Büttner selbst resümiert mit einiger Bitternis: „Ich habe diese Dinge so ausführlich dargestellt, um die Nöte  und Schwierigkeiten aufzuzeigen, mit denen ich in den vergangenen 4 Jahren habe kämpfen müssen. Es war alles schwer: Die Arbeit in der Schule in den ersten Jahren ohne Bücher, Hefte und andere Hilfsmittel, das Leben als Flüchtling ohne Kleider, Wäsche, Hausrat, Möbel, die Ernährung einer sechsköpfigen Familie ohne Erleichterung seitens der Stellen, die sie mir hätten erleichtern können. Es war eine schwere Zeit.“

Das Kochbuch der Marie Pieper aus Brome

Links steht Heinrich Friedrich mit Ehefrau Marie, geb, Pieper und den Kindern Pauline, Marie und Martha.

Mit ihrem handgeschriebenen Kochbuch hat Marie Pieper aus Brome ihren heute ebenfalls in Brome lebenden Verwandten ein interessantes und aufschlussreiches Dokument hinterlassen.

Sie wurde am 11. Juni 1865 als Marie Henriette Dorothea Pieper in Brome geboren, heiratete am 11. November 1892 den Lackierer Johann Hermann Heinrich Friedrich und starb im Alter von 75 Jahren am 06. Juli 1940 in Brome.

Mit dem Datum 19. Juli 1887 auf der ersten Seite wird der Beginn der handgeschriebenen Aufzeichnungen festgehalten. Marie Pieper war 22 Jahre alt, als sie anfing, das Rezeptbuch zu schreiben.

An den Anfang hat sie einen Sinnspruch gesetzt, der einiges über die von dem sozialen Umfeld erwarteten Tugenden und das eigene Selbstverständnis der jungen Frau erkennen lässt.

Man betrachte ihn nur recht den schönen Ring und man findet darin die fünf Edelsteine: „Ordnung, Fleiß, Sparsamkeit, Genügsamkeit und Zurückgezogenheit.“ Alle fünf so geschmackvoll geordnet und gefasst, dass der Glanz des Einen immer den des Anderen erhöht und das Ganze immer herrlicher erscheint, je näher man es betrachtet.

Vereinigt sich reine Religiosität mit diesem unschätzbaren Sinn für Häuslichkeit; dann ist unser wahrer Herzensfriede für unsere … Lebensweise geliefert.

Betrachtet man die in deutscher Schrift geschriebenen Rezepte eingehender, kann man erkennen, dass es sich kaum um ein „Arme-Leute-Kochbuch“ gehandelt haben kann.

Johann Dietrich Bödeker führt in seiner Chronik „Das Land Brome und der obere Vorsfelder Werder“ an, dass die Landwirtschaft im 19. Jahrhundert u.a. durch den Einsatz von Kunstdünger und den Anbau von Zuckerrüben einen bedeutenden Aufschwung nahm.

1865 wurde in Brome auch ein Spar- und Vorschussverein gegründet, der das Kreditwesen ermöglichte und damit notwendige Investitionen erleichterte.

Sicher war unter dies en verbesserten Rahmen Bedingungen auch in Brome ein höherer Lebensstandard möglich.

Denkbar ist aber auch, dass das Buch für eine Anstellung in einem „besseren Haushalt“ benötigt wurde. Leider war über die Biografie der Marie Pieper – außer ihrem Geburts- Hochzeits- und Todestag – nichts Wesentliches zu erfahren.

Die Vielfalt der angeführten Speisen steht einem heutigen Kochbuch nicht nach. Nicht nur einheimische Zutaten wurden verwandt, Marie Pieper kannte 1887 auch Oliven, Trüffel und Morchel. Neben Hühnchen, Enten, Gänse, Puten und Tauben gab es Rezepte mit Kalb, Hase, Schwein, Hammel, Wild und dazu diverse deftige Bratenfüllungen.

Man verarbeitete Krebsbutter und Krebsschwänze zu leckeren Gerichten. Verschiedene Weine wurden zur Verfeinerung von Saucen und Speisen eingesetzt.

Auch auf Gefrorenes musste man nicht verzichten. Der Pudding à la Nesselrode, der in der Hauptsache aus Esskastanien besteht, musste unter beständigem Rühren in einer Eisbüchse gefrieren. Mit allen Zutaten versehen wurde er in Formen gefüllt und musste weitere 3-4 Stunden auf Eis gefrieren, Gefrierschränke gab es ja noch nicht.

Beim Lesen der Zutaten kann man sich vorstellen, dass Angst vor Übergewicht oder zu hohem Cholesterinspiegel unbekannt waren. In den Kuchenrezepturen werden zahlreiche Eier verarbeitet, in einem Biskuitpudding sogar 30 Stück.

Selbst für „Arme Ritter“ benötigte man 5 Eier und empfahl eine Weißweinsauce dazu. Einige Rezepte tragen Namen, die nicht mehr geläufig sind und meist aus dem Französischen stammen. Ein Fricandeau z.B. ist ein gespickter Kalbsbraten und in einer Cheaudeauxsauce werden Eier mit Weißwein aufgeschlagen.

Nicht herausfinden konnte ich, was genau „Maringo“, hier Maringo mit Huhn bedeutete.

Ebenso wenig kenne ich die Bezeichnung „Mattetottes“ in einem Gericht mit Karpfen und Nudeln.

Petersilie und Thymian wurden gebraucht, aber auch Portulak, Tripmadam und Dragon, das wir heute als Estragon kennen. Das Rezept für eine Zwetschensuppe ließ sich ebenso mit getrockneten Kirschen oder Hagebutten kochen.

Kaum auf unseren Tellern wird ein Mahl erscheinen, das aus Kalbsmilchen, das sind die Thymusdrüsen des Kalbes gekocht wurde.

Zur Zeit von Marie Pieper kamen diese in einer Reihe von Gerichten vor.

An Stelle von Gelatine verwendete man den “Stand von Kalbsfüßen“, d.h. den durch das Auskochen der Füße entstandenen Gallert.

Neben heute noch bekannten Maßen und Gewichten kommen auch vor:

1 Quart = 1,145 l (Preußisches Maß)

1 Lot = 14,606 g (Preußen)

4 Quentchen sind zusammen ein Lot

Einige der Rezeptüberschriften schrieb Marie Pieper in lateinischen Buchstaben. Allen gemeinsam ist, dass sie mit einem Punkt endeten. Manche Wörter wurden auch mit „th“ geschrieben, wie „ein Theil“, aber auch „man thut“. Die Sprache wirkt auf den heutigen Leser liebenswert altmodisch.

Ein Rezept aus dem Kochbuch der Marie Pieper: Hammelscotelettes à la Nelson

Das Buch endet mit einem Rezept gegen die Hölle:

„Man nehme 5 Lt. (Lot) Sanftmuth, 10 Lt. Geduld, 15 Lt. Freigiebigkeit, 125 Lt. Nächstenliebe, und eine Hand voll Demuth. Stoße es im Mörser des Glaubens mit dem Stempel der Stärke zu Pulver. Gebe ein Viertel der Hoffnung hinzu und siede es in der Pfanne der Gerechtigkeit. Rühre es oft mit einem Gebete um und bewahre es wohl auf im Gefäße der Beständigkeit, damit der Schimmel der Eitelkeit nicht hinzu dringe. Mit dieser Salbe reibe man sich Morgens und Abends ein, das hilft gegen die Hölle.“

Da kann man nur hoffen, dass dieses Rezept Marie Pieper, die ein so wunderbares Kochbuch hinterlassen hat, genützt hat.

Anmerkung:

Das gedruckte Kochbuch der Marie Pieper kann beim Museums- und Heimatverein Brome e. V. bestellt oder direkt im Museum Burg Brome für 8,50 € erworben werden.

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