Ein Blog des Museums- und Heimatvereins Brome e.V.

Kategorie: Altendorf (Seite 4 von 5)

Die Geschichte der Zollstelle und des Dorfes Boldam in der Nähe des Katlochs bei Croya (1572-1628)

Das Jahr 1428 sorgte für die politischeTeilung des Bromer Landes! Zur dritten Teilung der welfischen Fürstentümer Braunschweig und Lüneburg kam es 1428 auf Wunsch des Herzogs Wilhelm, der 1416 gemeinsam mit seinem Bruder Heinrich seinem Vater im Fürstentum Lüneburg nachgefolgt war. Ihr Onkel Bernhard erhielt bei dieser dritten Teilung das Fürstentum Lüneburg, Wilhelm und Heinrich bekamen gemeinsam das Fürstentum Braunschweig. Diese Teilung hatte auch Auswirkungen auf das Gebiet der heutigen Samtgemeinde Brome. Die Dörfer Wiswedel, halb Voitze, Ehra und Lessien gehörten damals zur Mark Brandenburg. Sie waren Exklaven im Lüneburgischen und wurden erst mit dem Vertrag von Wallstawe im Jahr 1692 lüneburgisch. Während die Dörfer Brome, Benitz, Altendorf, Zicherie, Croya, halb Voitze und Tülau-Fahrenhorst durch die Teilung 1428 lüneburgisch blieben, gehörten Ahnebeck, Parsau, Rühen, Brechtorf, Tiddische, Hoitlingen, Eischott und Bergfeld zum Fürstentum Braunschweig. Zwischen Croya und Ahnebeck verlief also seit 1428 eine Landesgrenze! Noch heute zeugt der Landgraben zwischen den beiden Orten von dieser politischen Teilung.

Am Katloch Blickrichtung Zicherie. Von hier aus gesehen links hinter der Kurve, wohl auf der Anhöhe, hat einst das Dorf Boldam gestanden mit der Zollstelle. (Foto: Jens Winter)

In der Kurve der heutigen B244 von Croya Richtung Zicherie befindet sich das sogenannte Katloch. Der immer noch vorhandene Graben aus dem Lütjen Moor mündete einst in einen westlich der Straße gelegenen Teich, der auf der Karten von Strauß aus dem Jahr 1688 den Namen „Katlocher Deich“ trägt. Nordöstlich dieses Teiches hat sich einst das Dorf Boldam befunden. Hier standen einst drei Häuser: der Krug, in dem der Zöllner wohnte, sowie zwei Kothöfe. Ob dieses Dorf extra als Zollstelle an dieser Stelle angelegt wurde, lässt sich nicht belegen. Die ersten urkundliche Erwähnung findet sich in den Bromer Gerichtsprotokollen. Hier werden im Jahr 1572 die zum Bromer Gericht gehörenden Orte aufgezeichnet: Brome, Zicherie, Schürnau, Altendorf, Benitz, Nettgau, Tülau, Petzenau, Clepow, halb Massien, Sierau sowie vor dem Boldam die beiden Kothöfe. Der Krug wird hier aus unbekannten Gründen nicht erwähnt.

Im Jahr 1585 wird in den Bromer Gerichtsprotokollen ein gewisser Arendt von der Hude, Zöllner im Boldam erwähnt. Er war auch zwei Jahre später dort noch Zöllner, denn er musste wegen eines gegen ihn angestrengten Gerichtsprozesses vor dem Gericht auf der Burg Brome erscheinen. Der Gardelegener Bürger Ringener Oltze klagte gegen ihn wegen der immer noch nicht zurückgezahlten Schulden in Höhe von 87 Thaler 12 Schilling.

Einige Jahre später, nämlich 1592, taucht ein anderer Zöllner in den Gerichtsakten auf, nämlich Jacop Kampelenn, Zöllner im Boldam. Er war Zeuge beim Kaufvertrag eines Hofes im Boldam. Hans Tilsen kaufte die Kote von Andreas Probst im Boldam für 63 Thaler Kaufgeld. Das besondere daran ist, dass Tilsen den Hof seines Nachbarn Probst kaufte! Es bestanden demnach in Boldam neben dem Krug noch zwei Kothöfe.

Im gleichen Jahr pfändete der Zöllner im Boldam sechs Pferde von nicht genannten Ohrdorfern wegen geübten Unwillens.

Im Jahr 1596 erfahren wir, dass im Boldam noch der Zöllner sowie Hanß Lembke lebten. Wie Hanß Lembke an den Kothof bzw. die beiden Kothöfe gekommen ist, ist nicht bekannt.  Im Jahr 1602 werden als Bewohner des Boldam der Zöllner Klippen Hanß und Hanß Bartels genannt.

Im Jahr 1604 pfändete der Krüger und Zöllner Hans Barleben in Boldam dem Schneider zu Böckwitz ein Pferd ab, weil dieser einen Eichbaum stehlen wollte.

In Boldam ist es auch einmal zu einer Schießerei gekommen, die leider nicht genau datiert werden kann. Fest steht, dass Hans von Barleben aus unbekannten Gründen auf Bartoldt Peters aus Zicherie geschossen hat. Peters wurde verletzt und der Arztlohn zu seiner Genesung betrug insgesamt 23 Thaler, die vom verurteilten Täter Hans von Barleben getragen werden mussten. Diese Summe hatte Peters dann, wohl in Form einer Ratenzahlung, am 8. Januar 1605 zur Genüge erhalten, wie es in den Gerichtsakten heißt.

Der Dreißigjährige Krieg erreichte auch das Gebiet der Samtgemeinde Brome und die Folgen waren, gerade für das Dorf Boldam, verheerend. Im Jahr 1628 wurden die drei Höfe im Boldam durch Tillys Truppen verwüstet. Noch 1661 schreibt der Knesebecker Amtmann Wilhelm Schultze, dass der Krug und die beiden Kothöfe wüst sind. Der Wegezoll wurde dann auch nicht mehr in Boldam genommen, sondern in Croya. Das Dorf Boldam wurde also 1628 vollkommen zerstört und wurde dann nicht wieder aufgebaut!

Nach den Bromer Gerichsakten stand im Jahr 1692 eine Zollstange, worauf man denen von Bartensleben Zoll geben muss, am Katlocher Kamp. Der Zoll selbst wurde aber dann in Croya kassiert. Auch im 18. Jahrhundert wurde der Zoll weiterhin in Croya kassiert, wie wir aus den Wolfsburger Gerichtsprotokollen. Zum Croyaner Zöllner folgt sicherlich in Zukunft noch ein Blogbeitrag!

Auf der Karte von Strauß aus dem Jahr 1688 ist der Katlocher Deich eingezeichnet (links in der Mitte). Darüber steht die Zollstange derer von Bartensleben. Das damals bereits wüste Dorf Boldam ist nicht eingezeichnet. Zwischen Croya (auf der Karte als „Croy“ bezeichnet) und Ahnebeck verläuft der Landgraben. (Quelle: Hauptstaatsarchiv Hannover)
Auf einer Karte des Herrschaftsbereiches derer von Bartensleben auf der Wolfsburg, die vermutlich aus dem 18. Jahrhundert stammt, ist in diesem Ausschnitt links das Dorf Croya zu sehen. Nordöstlich von Croya ist das Katloch zu sehen mit dem Katlocher Damm. Etwas nordöstlich davon ist links neben dem Weg nach Zicherie zu lesen: „die wüsteney Catloch“. Dort existierte einmal das Dorf Boldam! (Quelle: Hauptstaatsarchiv Hannover)
Auf der Grenzkarte von Spaldeholz und Michaelsen aus dem Jahr 1754 ist das Katloch ebenfalls eingezeichnet. In Richtung Zicherie befand sich damals noch die Zollstange derer von Bartensleben. Boldam ist hier nicht mehr eingezeichnet, da es damals bereits über 100 Jahre nicht mehr existierte. Das Dorf muss sich ungefähr dort befunden haben, wo die Zollstange eingezeichnet ist, also am Ende des Katlocher Dammes Richtung Zicherie (Quelle: Hauptstaatsarchiv Hannover)

Die Rückkehr der Kraniche

Kraniche mit Jungvogel (Foto: Gerd Blanke)

Seit 2010 leben wieder Kraniche im Naturschutzgebiet an der Ohre nahe Altendorf. Dieses Gebiet ist sehr klein, aber für die Vögel wohl attraktiv genug, denn seit dieser Zeit ziehen sie regelmäßig im Jahr ein oder zwei Junge auf.

Noch vor gut 30 Jahren gehörte ihr heutiger Brutbereich zum Grenzgebiet der DDR, war gut bewacht und fast baumlos, da die Grenztruppen das Gelände für freies Sicht-und Schussfeld geräumt hatten. Die vorher stark mäandrierende Ohre war bis zum niedersächsischen Teil kanalisiert, die Altarme von der Ohre abgetrennt. Nach der Grenzöffnung wuchsen im Feuchtbiotop Weiden und Erlen. Durch die Altarme eignete sich das Gebiet nicht für die Landwirtschaft und wurde sich selbst überlassen.

Im Jahr 2004 übernahm eine Biberfamilie die Regie, denn das Feuchtgebiet ist für sie ideal. Weichhölzer wie Espe und Weide sind für die örtlichen Biber Nahrungsgrundlage. Die Tiere gestalten die Landschaft und die Gewässer nach ihren Bedürfnissen, legen in Gräben Transportwege für Zweige und Äste an, die zur Nahrung und zum Burgbau dienen, bauen kleine Dämme, oder stauen auch die Ohre, um konstanten Wasserpegel zu haben. Dieser Stau war wohl ausschlaggebend für die Kraniche, denn sie benötigen einen  Mindestwasserstand von 60 cm Tiefe um ihr Nest herum, damit Wildschweine, Füchse und andere Räuber die Eier oder Jungtiere nicht erreichen können. Das Nest wird auf einer kleinen Insel errichtet und ständig bewacht.

Im milden Winter 2019/20 verzichteten die hiesigen Kraniche auf einen Zug in den Süden. Die Ernährungslage war durch fehlenden Frost gesichert. So konnten sie frühzeitig ihr Revier, dass offensichtlich begehrt ist, gegen Konkurrenten mit ihren markanten trompetenartigen Rufen, aufgeregtem Hüpfen und Flügelschlagen verteidigen. Im Jahr 2020 besiedelten 2 Paare das Naturschutzgebiet „Ohreaue“. Bleibt zu hoffen, dass die großen Vögel weiter unbehelligt von uns Menschen hier in Ruhe leben können.

Der Otter bei Altendorf

Otter (Foto: Gerd Blanke)

Im letzten Jahrhundert war der Otter aus unserer Region scheinbar verschwunden, erst ab 2008 lebt er wieder in der Ohre bei Altendorf. Das ist durch zahlreiche Beobachtungen, Fotos  und Kotfunde nachgewiesen. Den Lebensraum konnte er durch die Bautätigkeit des Bibers zurückerobern. Dieser hat im Naturschutzgebiet die Ohre durch Dämme gestaut. Im den neu gebildeten Flachgewässern können sich Jungfische ideal entwickeln. Wo vermehrt Fische sind, finden sich auch die ein, die davon leben, wie Reiher, Eisvogel und Otter. Dadurch, dass der Mensch in die Landschaft dort nicht eingreift und „aufräumt“, gibt es durch umgefallene Bäume, zahlreiche Büsche und Uferhöhlungen ausreichend Verstecke, die der Otter bei seiner Nahrungssuche benötigt.

Die Tiere waren bei uns fast ausgerottet. Ihr unglaublich dichtes Fell mit mehr als 1.000 Haaren pro mm²  war früher sehr begehrt, um Pelze herzustellen. Außerdem wurden Otter als Nahrungskonkurrenten des Menschen bejagt. Heute steht das immer noch seltene Tier ganzjährig unter Schutz.

Als Nahrung dienen dem Wassermarder neben Fischen auch Frösche und wirbellose Tiere wie Schnecken. Egal, was das Tier gefressen hat, der Kot hat immer den gleichen Geruch.  Ursache dafür ist ein Darmenzym.

Da Otter meistens nachtaktiv sind, gelingt eine Beobachtung in freier Natur relativ selten. Das Foto entstand im Sommer 2015 durch Zufall, denn eigentlich wollte ich an einem Teich bei Altendorf ein Grünfüßiges Teichhuhn fotografieren, dessen Existenz von einem Bekannten angezweifelt wurde. Als sich das Schilf im Teich bewegte, drückte ich auf den Auslöser der Kamera und konnte so mehrere Bilder vom Otter schießen, der neugierig in Richtung des Klickgeräusches blickte. Gleich darauf muss ich den Otter durch eine Bewegung erschreckt haben, denn er tauchte plötzlich wieder ab.

Die Tiere sind äußerst beweglich, an Land wie im Wasser, fast 30 km/h ist ein Tier an Land schnell. Beim Tauchen können sie bis 8 Minuten unter Wasser bleiben. Ein Otter kann bis zu einem Meter lang und ca. 20 kg schwer werden. Bedingt durch den hohen Stoffwechsel müssen die Tiere 15 Prozent ihres Körpergewichts pro Tag fressen. Daher ist das Erscheinen eines solchen Tieres in Fischzuchtbetrieben und Angelgewässern wie den Ohreseen nicht gern gesehen.

Trotzdem muss der Mensch lernen, wieder mit seinen Nahrungskonkurrenten wie z.B. Otter, Reiher, Kormoran oder Wolf zu leben, da sie ein Teil unserer Natur sind und wichtige Aufgaben in der Nahrungskette erfüllen.

Ein Denkmal für Lehrer Büttner

Als ich den 2. Teil der Altendorfer Schulchronik aus der deutschen Schrift übertragen habe,   war ich von den dort enthaltenen Niederschriften des Lehrers Hermann Büttner besonders beeindruckt. Was er über sein Arbeitsleben in Altendorf und sein persönliches Schicksal aufgezeichnet hat, hat mich sehr berührt und so entstand der Gedanke, diesem Pädagogen mit dem Aufsatz im Kreiskalender ein schriftliches Denkmal zu setzen und seine Arbeit und seine Person zu würdigen.

Hermann Büttner hat von Dezember 1945 bis Ende Mai 1950 Jahre als Lehrer in der einklassigen Volksschule in Altendorf gewirkt. Dankenswerterweise hat er nicht nur das Führen der Schulchronik wieder aufgenommen, sondern daneben auch die Aufzeichnung des Gemeindelebens aus der Zeit nachgeholt, als die Schule während des Krieges geschlossen war. Da ihm das aus eigener Anschauung nicht möglich war, hat er die Geschehnisse durch Befragungen der Dorfbewohner nachgezeichnet. Dieser Text ist meines Wissens nach die einzige Quelle, aus der man über diese Zeit in Altendorf Genaueres erfahren kann. Damit allein hat er sich sehr verdient gemacht. 

„Ich war ohne jede Zivilkleidung hier angekommen, hatte aber von dem Bauern Rehfeldt in Benitz 1945 einen Anzug geschenkt erhalten. Diesen trug ich sonn- und werktags. Da er Kriegsware war, zerfiel er bald in Fetzen. Alle meine Bemühungen, einen neuen Anzug zu erhalten, waren vergebens. Erst nach der Währungsreform 1948 konnte ich mich neu einkleiden.“

Diese wenigen Sätze beschreiben gut, in welch schwieriger Situation sich Büttner und mit ihm seine ganze Familie befand.

Schule Altendorf mit Lehrer Büttner (um 1947)

Der Altendorfer Schulchronik, Band II, ist zu entnehmen, dass die örtliche einklassige  Schule mit 44 Schülern am 28.03.1940 wegen Lehrermangels geschlossen und die Kinder vom 1. April an in Brome unterrichtet wurden. Diese Schließung dauerte die Kriegszeit über an und wurde am 20.12.1945 beendet. 55 Kinder aus Altendorf und Benitz wurden von da an wieder in Altendorf beschult. Einziger Lehrer für alle Kinder war Hermann Büttner.

1946 betrug die Schülerzahl durch den Zuzug von Flüchtlingen 73 Kinder, die nun auch alle von Lehrer Büttner unterrichtet werden mussten. Da diese große Anzahl von Kindern nicht in dem einzigen vorhandenen Klassenraum unterzubringen war, teilte er sie auf und unterrichtete vormittags die Ober- und Mittelstufe und nachmittags die Unterstufe. „Dieser Betrieb hat den Lehrer stark belastet“, vermerkte er darüber.

Für den Klassenraum stand in dem strengen Winter 1946/47 nicht ausreichend Brennmaterial zur Verfügung, um den Kachelofen zu heizen. So wurde die Regelung getroffen, dass in den Monaten Januar und Februar nur an drei aufeinanderfolgenden Tagen unterrichtet werden sollte und die nächsten 3 Tage unterrichtsfrei waren. Die Nachbarschulen wurden in diesen Monaten wegen des gleichen Problems sogar ganz geschlossen.

Die 73 Kinder waren eine zu riesige Belastung für einen Lehrer. Als sich herausstellte, dass die Schülerzahl durch weiteren Flüchtlingszuzug noch mehr anwachsen würde, fasste die Gemeinde Altendorf endlich den Beschluss, eine zusätzliche Lehrerstelle zu beantragen.

Ab Ostern 1947 waren es inzwischen 98 Kinder, die in zwei Abteilungen zusammengefasst wurden. Endlich, am 16. Juni, konnte Lehrer Richard Kollna seinen Dienst antreten, so dass jetzt 2 Lehrer in nur einem Klassenraum im Schichtbetrieb unterrichteten. Zu Beginn des neuen Schuljahres, Ostern 1948, hatte die Schule 101 Schüler, davon 45 Kinder aus Altendorf und Benitz und 56 Flüchtlinge. Die meisten kamen aus dem Warthegau, einige aus Ost- oder Westpreußen, andere aus Bessarabien.

Wegen der katastrophalen Ernährungslage in Deutschland hatte sich der ehemalige US-Präsident Herbert C. Hoover dafür eingesetzt, dass Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren täglich mit einer Mahlzeit versorgt werden sollten. Um die Unterernährung zu mindern, wurden von den Amerikanern Lebensmittel bereitgestellt, die auch den Kindern in Altendorf hätten zugute kommen können. Leider scheiterte das zunächst, weil die Gemeinde wegen der allgemeinen Warenknappheit keinen Kochkessel beschaffen konnte. „So mußte diese segensreiche Einrichtung hier unterbleiben“, bedauerte Lehrer Büttner.

Das Schulgebäude war lange Jahre nicht renoviert worden und so war es nicht verwunderlich, dass sich allerlei Mängel und Schäden einstellten. Handwerker lehnten Aufträge dafür ab, da sie kein Material hätten und „unmöglich welches beschaffen könnten“. Allerdings vermerkte Lehrer Büttner, dass bei den Bauern durchaus neue Fenster und Türen eingesetzt wurden. Im Tausch für begehrte Lebensmittel ließ sich manches bewerkstelligen.

Nicht nur die hohe Kinderzahl und der schlechte bauliche Zustand der Schule bereiteten den beiden Lehrern Probleme. Dazu kam noch, dass vor der Währungsreform kein Lehr- und Lernmaterial zu bekommen war. Es fehlte alles, was man für den Schulbetrieb eigentlich brauchte: Bücher, Hefte, Bleistifte, Stahlfedern zum Schreiben und vieles mehr. „1946 besaßen die Kinder überhaupt keine Lernbücher, weder Lesebücher, noch Rechenbücher, noch Fibeln.“

Wie ein übles Possenspiel muten heute die „Bemühungen um die Beschaffung eines Lehrertisches“ an. „Die Altendorfer Schule ist wohl die einzige im Kreis, die solch ein Schulmöbel nicht besitzt. Der Lehrer muß sich, wenn er etwas zu schreiben hat, stets in eine der Schülerbänke setzen“. Obwohl die Notwendigkeit anerkannt wurde, dass der Lehrer einen Tisch brauchte, war er vor der Währungsreform nicht zu beschaffen. Die Tischler weigerten sich, gegen Bezahlung mit Geld zu arbeiten.

Auch das Einsammeln von Brettern bei den örtlichen Waldbesitzern führte nicht zum Erfolg, so dass die Gemeinde schließlich die Schulenburgische Forstverwaltung um die Lieferung eines Baumes bat. Der wurde auch nach 9 Monaten zum Sägewerk gebracht. Die Bretter sollten nun von einem Bromer Tischler zu einem Tisch verarbeitet werden. Daraus wurde wieder nichts, weil die Schülerzahl inzwischen angestiegen war und neue Bänke und eine Doppeltür zwischen Klassenzimmer und Lehrerwohnung vorrangig erstellt  werden mussten. „Für den Lehrertisch blieb nichts übrig“.

Kummer bereitete Hermann Büttner auch noch die Bewirtschaftung des Dienstlandes, das zu seiner Lehrerstelle gehörte und für seine und die Versorgung seiner Familie lebensnotwendig war. Davon wollten aber die langjährigen Pächter nichts wissen und nach vielerlei Ausflüchten war endlich einer der Pächter bereit, etwas Land abzutreten. Das reichte aber nicht zur Ernährung der inzwischen 6-köpfigen Familie aus, so dass Büttner Kartoffeln und Getreide dazukaufen musste. Auch das war wegen der bestehenden Zwangsbewirtschaftung und der Knappheit an Gütern aller Art schwierig.

Der Streit mit den Pächtern hielt an und erst mit der Besserung auf dem Lebensmittelmarkt und der Aufhebung der Zwangswirtschaft wurde es für den Lehrer überflüssig, weiter auf seinem Recht zu beharren. “Der Verlauf dieser Angelegenheit hat aber manche Verbitterung hinterlassen“.

Am 22. September 1948 begann auch in Altendorf endlich die Hoover-Schulspeisung, denn der notwendige Kessel konnte jetzt leicht beschafft werden. „Wir hätten uns Dutzende von Kesseln kaufen können“, notierte Büttner dazu. Die Lagerung und das Kochen der Lebensmittel übernahmen zwei Frauen aus dem Dorf. Die Gemeinde musste die Lebensmittel bezahlen und für die Kinder kostete eine Mahlzeit 0,15 DM. Um kinderreichen Familien und vor allem Flüchtlingsfamilien die Zahlung zu erleichtern, wurden auf das Betreiben der Lehrer hin Patenstellen geschaffen. So konnten 13 Kinder aus Altendorf und 12 aus Benitz kostenlos am Essen teilnehmen. Die Schulspeisung erstreckte sich über fünf Monate, von September 1948 bis Januar 1949.

In diesen Notjahren nach dem Zusammenbruch wurden die Schulkinder recht häufig dazu aufgerufen, Geldsammlungen durchzuführen, denn es fehlte an allen Ecken und Enden im Land. So sammelten sie zur „Woche der Hilfe“, für den Ausbau der Jugendherbergen, für die Blindenhilfe, die Tuberkulosebekämpfung, die Kriegsgräberfürsorge usw., bis es den Kindern und den Eltern und nicht zuletzt den Lehrern zu viel wurde und sie weitere Sammelaktionen ablehnten.

Ganz allmählich normalisierte sich der Schulbetrieb. Sportliche Jugendwettkämpfe wurden durchgeführt, und mit Beginn des Schuljahres 1949 gab es wieder Handarbeitsunterricht.  Sogar erste Schulausflüge nach Hannover und in den Harz fanden statt.

„Zum 1.5.50 bin ich auf meinen Wunsch und Antrag, der bereits länger als ein halbes Jahr zurückliegt, nach Wolfsburg versetzt worden…“ Damit endete die schwierige Amtszeit des Lehrers Büttner in diesen Not- und Elendsjahren nach dem 2. Weltkrieg, die ihm und seiner Familie in dem bäuerlichen geprägten Altendorf arg zusetzten.

Hermann Büttner selbst resümiert mit einiger Bitternis: „Ich habe diese Dinge so ausführlich dargestellt, um die Nöte  und Schwierigkeiten aufzuzeigen, mit denen ich in den vergangenen 4 Jahren habe kämpfen müssen. Es war alles schwer: Die Arbeit in der Schule in den ersten Jahren ohne Bücher, Hefte und andere Hilfsmittel, das Leben als Flüchtling ohne Kleider, Wäsche, Hausrat, Möbel, die Ernährung einer sechsköpfigen Familie ohne Erleichterung seitens der Stellen, die sie mir hätten erleichtern können. Es war eine schwere Zeit.“

Veränderung der Landwirtschaft bewirkte Artensterben

Als meine Familie 1950 nach Altendorf zog, kam ich in ein Dorf, das durch bäuerliche Selbstversorgung geprägt war. Mehr als 30 Familien lebten ausschließlich von der Landwirtschaft. Die Viehwirtschaft umfasste alles, was man in Bilderbüchern für Kinder heute romantisierend als „heile Welt-Bauernhof“ oft noch findet. Kühe, Pferde, Schweine, Schafe und allerlei Federvieh waren auf jedem Hof zu sehen. Vor Pflüge und Wagen spannte man Pferde. Es gab nur vereinzelt Trecker. Die Kühe wurden morgens durch das Dorf zur Weide getrieben und abends zum Melken wieder in den Stall geholt. Vor den Höfen standen „Milchbänke“, auf denen Milchkannen auf den Abtransport zur Molkerei nach Brome warteten. Im Rundling war nur die Hauptstraße gepflastert. Die heutige Bundestraße hatte um 1950 noch Kopfsteinpflaster. Daneben verlief ein sogenannter Sommerweg, ein unbefestigter Straßenteil, den das Vieh gerne zum Laufen annahm. In die einklassige Volksschule gingen die Kinder zu Fuß, Schüler aus Benitz nahmen, falls vorhanden, ein Fahrrad und benutzten einen unbefestigten Rad- und Fußweg neben der heutigen Bundesstraße.

Die Bauerngärten dienten überwiegend der Selbstversorgung mit Gemüse und hatten nur einen kleinen Blumenanteil. Rasenmäher für Vorgärten gab es noch nicht.

Der Wiesenanteil in der Gemarkung war sehr groß, da man das Gras als Viehweide im Sommer benötigte, die restlichen Wiesen aber für Heu und Grummet (Grummet ist der zweite Grasschnitt) als Wintervorrat. Mineralischer Dünger wurde kaum eingesetzt. Der Mist aus der Viehhaltung diente dem Düngen des Ackers.

Geflecktes Knabenkraut (Foto: Gerd Blanke)

Daher waren die Wiesen mager und zeigten eine große Artenvielfalt an Blühpflanzen und Gräsern. Im Frühjahr waren die Wiesen übersät mit einem weißen Schleier von Wiesenschaumkraut. An nassen Stellen prahlten Sumpfdotterblumen mit ihrem satten Gelb. Dunkelgrün waren torfige Flächen durch die dort wachsenden Binsen. Im Mai überzog ein tiefes Rot die Stellen, wo noch einheimische Orchideen, wie das gefleckte Knabenkaut, wuchsen. Auch die wunderschönen Blüten des Fieberklees konnte man bis in die sechziger Jahre noch in der Nähe der Ohre finden.

Fieberkraut (Foto: Gerd Blanke)

Die war noch nicht begradigt und schlängelte sich in vielen Windungen in Richtung Brome. In den Höhlungen der Ufer fingen wir als Kinder mit der Hand noch Edelkrebse. In den Gräben hatten zahlreiche Kleinfische, wie die Stichlinge ihre Kinderstube. Auch Bodenbrüter in den Feuchtwiesen waren häufig. Das durchdringende „Kiwitt“ des Kiebitzes war weithin zu hören.

Kiebitz (Foto: Gerd Blanke)

Im Frühjahr konnte man die akrobatischen Balzflüge dieser Vögel beobachten. Wehe dem Fuchs, der dem Gelege zu nahe kam. Pfeilschnell stürzte sich ein Kiebitz im Sturzflug auf den möglichen Eierdieb und vertrieb ihn mit ständigen Scheinangriffen aus dem Revier. Allabendlich waren Bekassinen zu sehen. Bei ihren typischen Hochzeitsflügen ließen sich die Vögel aus großen Höhen senkrecht herabfallen und spreizten dabei die äußeren Steuerfedern ab, die dann ein „wummerndes“ Geräusch erzeugten. Daher nannte man diese Schnepfen im Volksmund Himmelsziegen. Selbst das melancholische Flöten des Großen Brachvogels war noch zu hören. Auch der Weißstorch zog auf einem Nest im Dorf seine Jungen auf. Nahrung gab es in den Feuchtwiesen reichlich. So konnte man in der Heuzeit manchmal den sogenannten „Krötenregen“ beobachten. Um diese Zeit verließen die kleinen Kröten massenweise ihre Gewässer und suchten, nachdem sie nun zu Lungenatmern geworden waren, ihre Nahrung in den Wiesen.

In den sechziger Jahren begann sich das Dorf zu verändern. Das Pferd als Zugtier machte Traktoren Platz, immer mehr Maschinen ersetzten oder erleichterten die schwere körperliche Handarbeit in der Landwirtschaft. Das „Höfesterben“ begann. Viele kleinere Bauern gaben ihre Höfe auf, weil sie in der wachsenden Industrie bessere Verdienstmöglichkeiten fanden. Andere übernahmen die Flächen, die zu größeren Einheiten zusammengefasst wurden. Heute teilen sich drei Landwirte die Gemarkung. Immer weniger Vieh wurde gehalten, deshalb brach man Wiesen um, legte Drainagen und verwandelte sie in Ackerland. Der Verbrauch an Mineraldünger, Herbiziden und Pestiziden nahm zu. Die Verarmung der Landschaft begann schleichend.

Wo wenig Insekten sind, können auch nur wenige Insektenfresser leben. Wo Mineraldünger eingesetzt wird, gibt es keine Orchideen mehr, die auf stickstoffarme Böden angewiesen sind. Werden Wiesen entwässert, fehlt Schnepfen und Kiebitzen der weiche Boden, in dem sie ihre Nahrung finden. Wird das Gras auf noch vorhandenen Wiesen schon April/Mai für Silage gemäht, hat kein Bodenbrüter die Chance, seine Jungen aufzuziehen.

Auch der Storch verließ 1996 unser Dorf, weil er nicht mehr ausreichend Nahrung fand.

Leider besteht auf die Rückkehr der bei uns verschwundenen Arten keine Hoffnung, da vermutlich die Landwirtschaft nicht zu alten Strukturen zurückkehren kann. Allerdings gibt es auch Lichtblicke. Durch den Status des Naturschutzgebietes in unmittelbarer Nähe des Dorfes sind ein Rest an Wiesen und die sich windenden Ohre dem Einfluss des Menschen entzogen. Biber stauen durch Dämme, Flachgewässer entstanden und bilden ideale Kinderstuben für Jungfische. Dadurch kann man wieder vermehrt Tiere beobachten, die davon leben wie Eisvogel, Reiher und Otter. Der angehobene Wasserstand ermöglicht auch dem Kranich inzwischen Jahr für Jahr hier heimlich seine Jungen aufzuziehen.

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